Munstead Wood wird gerettet

Diese Nachricht ist grandios für die Gartenwelt und strahlt weit über Grossbritannien hinaus: der englische National Trust, mit 5,7 Millionen Mitgliedern Europas größte gemeinnützige Organisation für Kultur und Natur-schutz, hat ein neues Juwel in seiner Schatzkiste. Zu rund 200 Preziosen, historischen Gebäuden und Gärten, gehört nun auch Munstead Wood.

Jenes Haus samt Garten, in dem die Grand Dame Englischer Gartenkultur, Gertrude Jekyll, über 30 Jahre bis zu ihrem Tod lebte und gärtnerte. In dieser privaten Keimzelle erwuchs der Prototyp des neuen Englischen Gartens. Doch das Anwesen in Godalming in Surrey ist ein Gesamtkunstwerk aus Gartenkunst und Architektur. Denn das Haus erbaute Edwin Lutyens, längst gilt dies Frühwerk als eine seiner meisterlichsten Kreationen. Andy Jasper, Gartendirektor des NT, ist begeistert über den Kauf von Munstead Wood: „Hier zeigt sich Jekyll’s typisch natura-listisches Design, ihr kühner Einsatz von Farben und innovativer Gebrauch alltäglicher Pflanzen. Es gibt kein besseres Beispiel für einen klassischen Englischen Garten“:

Wer war Gertrude Jekyll?

In ihrem Heimatland schon zu Lebzeiten wertgeschätzt, wissen ansonsten meist nur Connaisseure um ihre Pionierleistung. Mancher liebt die nach ihr benannte, süß duftende Rose in kräftigem Pink( David-Austin-Züchtung von 1986) - hat aber keinen Schimmer, wer damit geehrt wurde. Gertrude Jekyll (1843 - 1932) wächst in einer liberalen Familie der Mittelschicht auf, in einem Landhaus in Surrey mit der Freiheit eines großen alten Gartens, streift mit ihren Brüdern durch die Natur und entwickelt große Leidenschaft für Pflanzen und Blumen: „Ich hatte sie schon als Freunde kennengelernt, als ich längst nicht wußte, wie sie hießen“. Mit achtzehn Jahren geht sie in London an die School of Art, erst die vierte Frau, die dort Malerei studieren darf. Sie wird eine einflußreiche Figur in der aufblühenden Arts-und-Crafts-Bewegung, lernt William Morris, Edward Burne-Jones sowie John Ruskin kennen. Universell interessiert an Kunst und Kunsthandwerk, ist sie bald erfolgreich in Malerei, Innenausstattung, Textil- und Silberarbeiten. Sie stellt ein Bild in der Royal Academy aus, erhält als Amateurin Aufträge aus der High Society für kunstvolle handwerkliche Arbeiten, stattet die Innenräume für den Herzog von Westminster in Eaton Hall aus. Doch dann beendet ein starkes Augenleiden die verheißungsvolle künstlerische Laufbahn - und ihre zweite Karriere als Gärtnerin beginnt.

Vom Teppichbeet der Zeit zum revolutionären Wild Garden

1878 zieht sie zurück nach Godalming in Surrey, erwirbt ein rund 5 Hektar großes Grundstück für den Bau eines Hauses, beginnt zu gärtnern, freundet sich mit dem benachbarten einflussreichen Gartenexperten William Robinson an. Dessen Buch ‚The Wild Garden‘, seine revolutionäre Kritik gegen die vorherrschenden viktorianischen Gärten mit sogenannte Teppichbeeten -  vollgestopft mit einjährigen Blumen - und sein vehementes Plädoyer für mehr Wildnis beeindrucken Jekyll nachhaltig. Sie schreibt für sein Magazin ‚Gardens Illustrated’, erprobt daheim Beete mit Kugeldistel, Christrose, Taglilie und anderen Stauden, die Robinson empfiehlt. Sie entwickelt eine kleine Gärtnerei mit Verkauf und eigener Züchtung, bereichert die Gartenwelt letztlich mit 30 neuen Pflanzen. Ihr Garten gedeiht, nur das Haus fehlt noch. Bis sie an einem Frühlingstag 1889 beim Afternoon Tee des Azaleenhändlers Harry Mangles einen jungen Mann trifft, Edwin Lutyens wird als begabter Architekt gehandelt. Die da schon als Gartenexpertin bekannte Jekyll ist 45 Jahre alt, Lutyens gerade 20. Eine schicksalshafte Begegnung, die in   kongenialer fruchtbarer Partnerschaft und rund 20 gemeinsamen Projekten mündet. Darin wird das Ideal der harmonischen Gleichwertigkeit von Haus und Garten virtuos umgesetzt. „Es scheint, als hätten beide aufeinander gewartet“, heisst es in einer Jekyll-Biografie. Lutyens avanciert mit seinem Countryhouse-Style zu einem der gefragtesten britischen Architekten des frühen 20. Jahrhunderts. Jekylls superber Geschmack in Entwurf und Bepflanzung der Beete ergänzt seine Arbeit perfekt. Sie avancieren in ihrer fast dreißig Jahre langen Kooperation zum begehrten Design-Duo der Upper-Class. Ein Lutyens-Haus plus Jekyll-Rabatten - ein must !

Haus und Garten - eine Einheit

Ihr eigenes Haus ist 1896 endlich fertig: ein Skelett aus Eichenhölzern, dazu der regionale ‚Bargate‘-Sandstein im warmen Honigton, Fenster im Tudor-Stil, mehrere schlanke Kamine aus Ziegelsteinen überragen die Dachgiebel. Beide orientieren sich an der Surrey-typischen Bauweise, legen Wert auf traditionelle solide Handwerksarbeit, der Arts-and-crafts-Philosophie verpflichtet, aber: „Das Haus ist keineswegs die Kopie eines alten Gebäudes, auch wenn es die allgemeinen Kennzeichen der älteren Bebauung dieser Gegend aufweist“, schreibt Jekyll. Innen ist das Herzstück im Erdgeschoß eine living hall. Im ersten Stock überdacht eine 20 Meter lange helle Galerie mit bleiverglasten Fenstern als Fachwerk-Korridor zwischen den zwei Flügeln des Hauses einen geschützten Sitzplatz auf der Terrasse darunter. Dieser Nordhof bietet Schutz bei jedem Wetter, um von der klassischen Lutyens-Bank in den Garten zu blicken, anmutig bekrönt von einer muschelrosa Berg-Waldrebe (Clematis montana), die sich als Girlande unter der Galerie entlang windet.

Der Garten ist in jeder Hinsicht unkonventionell, mit eher willkürlich schräger Geometrie bricht er Tabus. Etliche Bereiche sind hinter hohen Mauern verborgen, der Besucher wird durch diverse „Walks“ vom Haus hinweg geführt, um die verschiedenen Elemente wie Teichgarten, Pergola, Stein-Garten zu entdecken. Eine lange Sandsteinmauer wirkt als Hauptachse und trennt die einzelnen Gartenbereiche in grüne „Zimmer“. Von der Südseite des Hauses blickt man auf eine Lichtung mit Birken, unterpflanzt mit Azaleen und Rhododendren, grasbewachsene Pfade führen in einen waldartigen Bereich, den Jekyll ihren „kostbarsten Besitz“ nennt. Dem Frühlings-Garten mit Narzissen und weißen Tulpen folgt der in spitzem Dreieck mündende Sommer-Garten. Die Haupt-Attraktion, hier kulminiert Jekylls Kunst der Farbenlehre in einem opulenten Crescendo, einer vier Meter breiten und sechzig Meter langen ‚Main Border‘ mit hoher Steinmauer als Kulisse. Da zeigt sich ihr geniales Talent der Abstufung von Farben, Formen und Texturen. In höchster Harmonie sind Stauden und Einjährige - Königskerzen, weiße Fingerhüte, Rittersporne, Dahlien, Fackellilien, Malven, Lilien, Löwenmäulchen, Rudbeckien, Taglilien, dazu Unmengen Rosen und Kletterpflanzen - zu einem verschwenderischen Patchwork von grandioser Sinnlichkeit vereint. Weil ihr als Malerin eine Karriere versagt blieb, malt sie dreidimensionale Bilder mit Pflanzen, lässig hingetupfte Gemälde in exquisiten Farbabstufungen. Sie kombiniert oder kontrastiert effektvoll Farben, stets mit enormem  Stilgefühl für subtile Nuancen. Die Wirkung von Farben im Garten zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten erforscht sie über 40 Jahre in ihrem blühenden „Labor“. Das abgeschiedene Munstead Wood wird legendäres Ziel für Gartenenthusiasten, 1917 schaut auch Vita Sackville-West aus Sissinghurst vorbei. Hat diese Miss Jekyll doch mit ihren Ideen eine neue Ära der Gartengestaltung eingeleitet. Wobei sie, im Gegensatz zum radikalen William Robinson, Tradition und Revolution geschickt, eben auf die sanfte Tour, vereint.

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